Alkohol und Abstinenz. Wie der Arbeiterschaft das richtige Verhalten beizubringen ist

Im internationalen Kampf gegen den Alkohol gründete die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) Österreichs am 19. Jänner 1905 den Arbeiter-Abstinentenbund. In seiner Aufklärungsarbeit griff der Verein auf wissenschaftsbasierte Visualisierungen zurück. Die vorliegende Diareihe, bestehend aus 60 Glasplattendiapositiven, die Anfang der 1920er vom Deutschen Hygiene-Museum Dresden gefertigt wurden, spiegelt die Kernansichten und die Argumentationspolitik der sozialhygienisch ausgerichteten alkoholgegnerischen Bewegung Deutschlands, Österreichs und der Schweiz wieder.

Die Lichtbidreihe zum Vortrag „Der Alkoholismus“ mit dazugehörigen Bildverzeichnis

  • Sprosspilz (Bierhefe), vieltausendfache Vergrößerung. 
  • Die Alkoholgärung (Wesen des Gärungsvorganges: Zerlegung des Zuckers in Alkohol und Kohlensäure)
  • Bestandteile der alkoholischen Getränke: Ein Liter Bier enthält: Wasser 918 g, Extraktstoffe 51 g, Alkohol 37 g, Eiweißstoffe 4 g, Harz. und Bitterstoffe 2 g
  • Bestandteile der alkoholischen Getränke: Ein Liter leichert Wein enthält im Durchschnitt: Wasser 900 Teile, Alkohol 80 Teile, Extraktstoffen 20 Teile
  • Bestandteile der alkoholischen Getränke: Ein Liter Branttwein enthält: Wasser 600 Teile Alkohol 400 Teile
  • Branntwein-Destillierofen im Mittelalter 1519. (Das Branntweinbrennen kam in Deutschland erst im Mittelalter auf.)
  • Der Schnapsgehalt des Likörkonfekts (Vorkriegszahlen) 
  • Alkohol im Brot? In 60 Pfund Brot ist soviel Alkohol enthalten wie in einem Glas Schnaps.
  • Der Nähstoffverlust beim Bauen (Nährstoffgehalt von 300g Gerste und dem aus der gleichen Menge hergestellten Lagerbier.)
  • So – oder so? (Gegenüberstellung von alkoholischen Getränken und Nahrungsmitteln, die AUS DEN GLEICHEN Früchten gewonnen werden.)  
  • Die Verschwendung des deutschen Ackerlandes für die Herstellung geistiger Getränke vor dem Weltkrieg, dargestellt an der Karte des Deutschen Reiches. (Alkoholland – 18000 qkm 1/38 des deutschen Ackerlandes)
  • Verbrauch an Alkoholgetränken in 14 verschiedenen Staaten pro Kopf pro Jahr in Litern. (Stand von 1899-1900.) 
  • Deutschlands Zeche im vergleich zu seinen sonstigen Ausgaben. (Stand von 1909)
  • Der Zahltag. (Skulptur von A. Jacopin, Paris)
  • Das NS des Menschen, von hinten gesehen. 
  • Bau der menschlichen Großhirnrinde (schemtisch). 
  • Wirkung des Alkohols.  (Einfluss des Alkoholgenusses auf geistige Arbeit, nachgewiesen an der Fähigkeit des Auswendiglernens von Zahlenreihen ohne und unter Einfluss von Alkohol.) Nach Dr. Smith 
  • Durch Alkoholgenuss wird die Arbeitsleitung des Körpers verringert und überdies unnötig viel Kraft verbraucht. (Versuche von Prof. Dr. Durig bei Bergbesteigungen.) Graph. Darstellung.
  • Warum die Akkordarbeitsleitung am Montag oft vermindert ist. Bis zu 50 v. H. Minderleistung- und Lohnverlust infolge sonntäglichen Alkoholgenusses
  • Die körperliche Ausdauer wird durch Nüchternheit erhöht. (Kieler Gepäckmarsch 1908) Von den dauernd enthaltsamen Teilnehmern 65 besonders leistungsfähig, von den nicht Enthaltsamen nur 17 v.H.
  • Karikatur: Französischer Deputierter bittet den Kneipwirt um politische Unterstützung. (ein ernster Hinweis auf die Macht des Alkoholkapitals)
  • Nachweisung der mit Trunksucht belasteten Personen in den allgemeinen Heilanstalten Preußens während der Jahre 1877 bis 1907. (Nach Angaben des Preuß. Statist. Landesamtes.) Starke Zunahme des Alkoholismus.  
  • Die Destille (Nach einer Radierung von Zille.)
  • Alkoholismus und Verbrechen. Einfluss des Alkohols auf Straftaten an den einzelnen Wochentagen. (nach Ermittlungen von Dr. Koblinasky an der Strafanstalt zu Düsseldorf 1894)
  • Alkoholismus und Verbrechen. Einfluss des Alkohols auf die Begehung von Verbrehen. (nach Ermittlungen aus 120 deutschen männer-Strafanstalten von Dr. Baer)
  • Alkoholismus und Unfall: Anzahl der tödlichen Verunglückungen in berauschtem Zustand im Pronzentverhältnis zur Gesamtsumme der tödlichen Verunglückungen in der Schweiz.
  • Alkohol und Lebensdauer. (Graph. Darstellung nach Beobachtungen der englischen Lebensversicherungsgesellschaft United Temperance 1866-1900). Enthaltsame haben längere Lebensdauer.
  • Anfälligkeit der Trinker. Bildlich statist. Darstellung nach Beobachtungen der Leipziger Ostkrankenkasse. (Verhältnis der Erkrankungen bei Trinkern und Nichttrinkern wie 5:2)
  • Fettleber eines Trinkers und normale Leber im Durchschnitt
  • Schrumpfleber eines Trinkers und normale Leber
  • Veränderung des Lebergewebes durch Alkoholismus. a) Normales Lebergewebe b) Fettleber c) Ausgedehnte Schrumpfung der Leber
  • Schrumpfniere eines Trinkers.  
  • Tuberkulose und Alkohol. (Größere Sterblichkeit bei den Alkoholberufen)
  • Alkohol und Beruf. Graph. Darstellung nach Beobachtung der Gothaer Lebensversicherungsgesellschaft. In Alkoholberufen Sterblichkeit bis über 60 v.H. höher als beim Durchschnitt.
  • Alkohol und Herzkrankheiten. Graph. Darstellung. Unter den in Alkoholgewerben tätigen Männern sind weit mehr Herzkranke als in anderen Berufen
  • Herzerweiterung infolge Überanstrengung und Alkoholgenuß (Röntgenbild)
  • Arterienverkalkung bei einem Alkoholiker. (Röntgenbild vom Unterschenkel mit dem deutlich sichtbaren Kalkeinlagerungen in den Gefäßwänden.)
  • Quälende Sinnestäuschungen eines Deliriumkranken. (Nach Zeichnung von J. Souziau.)
  • Alkohol und Geschlechtskrankheiten. (Ansteckung begünstigt durch leichte und schwere Berauschung: Geringere Widerstandsfähigkeit, schwerer Verlauf und verzögerte Heilung bei Alkoholgenuss)
  • Querschnitt durch den Hoden bei einem gesunden 25jährigen Mann. (Nach einem mikr. Originalpräparat von Professor Weichselbaum.)
  • Querschnitt durch den Hoden bei einem 20jährigen Trinker. (Nach einem mikr. Originalpräparat von Professor Weichselbaum.) Keimgewebe entartet, zwischen den geschrumpften Hodenkanälchen massenhaft Bindegewebe.
  • Einfluss der väterlichen Alkoholvergiftung auf die Kinder: Nerven- und Geisteskrankheiten (nach G. von Bunge)
  • Einfluss der väterlichen Alkoholvergiftung auf die Kinder: Tuberkulose (nach G. von Bunge)
  • Alkoholgenuss im Kindesalter: Häufigkeit des Bier- und Branntweingenusses bei Schulkindern. (nach Untersuchungen in einer Berliner Schule.)
  • Alkoholgenuss im Kindesalter: Einfluss des Alkoholgenusses auf die geistige Leistungsfähigkeit von Schülern. (nach Schuldirektor Bayr, Wien.)
  • Vier Hunde vom selben Wurf, von denen zwei mäßig Alkohol erhalten haben und dadurch in der Entwicklung zurückgeblieben sind. (Aus der Staatskrankenanstalt Hamburg-Friedrichsberg.)
  • Fürsorgeerziehung als Folge von elterlichem Alkoholismus. (Preußen 1903-1908)
  • Die Bedürfnisfrage. Zahl der Einwohner, die im Jahre 1904/05 auf eine Wirtschaft kamen (in 25 deutschen Gemeinden und 5 Bundesstaaten).
  • Bekämpfung des Alkoholkonsums in Schweden 1829-1895 (Graph. Darstellung) Abnahme der Geistesstörungen und der Selbstmorde, Besserung und Militäruntauglichkeit parallel der Abnahme des Schnapsverbrauchens.
  • Zunahme des Wohlstandes bei Verringerung des Alkoholkonsums Wohlstand – Verringerung des Alkoholkonsums. (Airdrie in Schottland 1900-1909 und Norwegen 1866-1901.)
  • Die Häufigkeit des Alkoholismus unter den Geisteskranken. (Aus der Dresdner städtischen Heil- und Pflegeanstalt 1908-1918.) Nach Oehmig. Starke Alk------cholismus während des Krieges als Folge einschränkenden Maßnahmen.
  • Bilder aus der Trinkerheilstätte Seefrieden bei Moritzburg in Sachsen: Belehrung über die Alkoholfrage
  • Bilder aus der Trinkerheilstätte Seefrieden bei Moritzburg in Sachsen: Lesen, Musizieren, Billardspielen.
  • Bilder aus der Trinkerheilstätte Seefrieden bei Moritzburg in Sachsen: Heuernte 
  • Das Königin-Luise-Haus in Leipzig (Eigentum des Deutschen Bundes abstinenter Frauen.)
  • Entwürfe für Gemeindehäuser. (Aus dem Schweizer Wettbewerb) 
  • Entwürfe für Gemeindehäuser. (Aus dem Schweizer Wettbewerb) 
  • Mit Sang und Klang auf dem Marsch.
  • Am Wirtshaus vorbei.
  • Bei einem Wirte wundermild… (nach Ludwig Richter)

Inhalt

Messen, vergrößern und diagnostizieren

Auf diesem Bild ist ein mit einem Messgerät zur Bestimmung des Energieumsatzes im Körper ausgerüsteter Bergsteiger zu sehen, der ca. 800 Höhenmeter bei der Besteigung eines Berges in der Region Montafon überwindet. Die erforderliche Zeit, die Arbeitsleistung während des Aufstiegs, der gesamte Energieverbrach und der Wirkungsgrad wurden im nüchternen Zustand mit den Werten verglichen, welche der Bergsteiger nach dem Genuss einer geringen Menge Alkohols erzielte. Der Bergsteiger benötigte unter Alkoholeinfluss ein Fünftel mehr Zeit und hatte einen um ein Siebentel höheren Energieverbrauch als im nüchternen Zustand. Die Arbeitsleistung betrug somit nur 83,6%. Der Wirkungsgrad im alkoholisierten Zustand lag bei weniger als 87% im Gegensatz zu 100% bei Alkoholkarenz. Die Untersuchung wurde von Arnold Durig (1872 -1961), einem österreichischen Naturwissenschaftler, geleitetet. Die Ergebnisse des Experiments sind in Form eines Balkendiagramms dargestellt.

Verschlechterung der Arbeitsleistung durch Alkoholgenuss. Nach Untersuchungen beim Bergsteigen von Prof. Dr. Durig, Wien. Graph. Darstellung.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlangte die Medizinalstatistik den Höhepunkt ihrer Popularität. Die bildliche Umsetzung quantitativer Erhebungen entwickelte sich zu einem prominenten Instrument im Rahmen der aufklärerischen Tätigkeiten der alkoholgegnerischen Bewegungen.

Alkoholismus und Verbrechen. Einfluss des Alkohols auf Straftaten an den einzelnen Wochentagen. (nach Ermittlungen von Dr. Koblinasky an der Strafanstalt zu Düsseldorf 1894) 

Auch mikroskopische Darstellungen wurden gezielt eingesetzt, um naturwissenschaftliche Erkenntnisse und medizinische Theorien über die Gefahren des Alkoholkonsums für die Allgemeinheit sichtbar zu machen.

Sprosspilz (Bierhefe), vieltausendfache Vergrößerung.

Einseitige Argumentation. Die Causa des Elends

Das Wirtshaus – ein Ort, um die missliche psychosoziale Situation zu vergessen. Der Alkohol – ein Mittel, um aus der trostlosen Realität zu flüchten. Bewältigungsstrategien, die eine Abwärtsspirale in Gang setzten und die Armutslage vieler Arbeiter verstärkten: Eine historische Perspektive, die das Trinkerelend im gesamtgesellschaftlichen Konnex aufgreift.


Der Zahltag. (Skulptur von A. Jacopin, Paris)   

In der deutschsprachigen Abstinenzbewegung wurde jedoch die prekäre soziale Lebenslage der Arbeiterklasse als Grund für den Alkoholkonsum ausgeblendet. Die wissenschaftliche Verhandlung um die Alkoholbekämpfung tabuisierte das Elend der Arbeiterklasse. Vielmehr wurde der Alkoholkonsum selbst zur Ursache für das Elend der Arbeiterklasse erklärt.


Die Verschwendung des deutschen Ackerlandes für die Herstellung geistiger Getränke vor dem Weltkrieg dargestellt an der Karte des Deutschen Reiches. (Alkoholland – 18000 qkm 1/38 des deutschen Ackerlandes)

Der Alkoholkranke wurde als wirtschaftliche und soziale Bedrohung verstanden, für seine Lage selbst verantwortlich gemacht und schließlich als „minderwertig“ denunziert.


Deutschlands Zeche im Vergleich zu seinen sonstigen Ausgaben.
(Stand von 1909)

Wissenschaftliches Anschauungsmaterial legte dar, dass selbst der Konsum geringer Alkoholmengen für Körper und Geist schädlich sei und folglich eine Bedrohung für das „Volk“ sowie die Volkswirtschaft darstellen würde. Diese Darlegung wurde durch eine wissenschaftliche Beweisführung visualisiert und legimitiert.   


Der Schnapsgehalt des Likörkonfekts (Vorkriegszahlen)  

Keine Volksgesundheit ohne Arbeitsleistung!

Victor Adler (1852-1918), Arzt, Begründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) und einer der wichtigsten Verfechter der Abstinenz, wird der Ausspruch “Der denkende Arbeiter trinkt nicht und der trinkende Arbeiter denkt nicht“ zugeschrieben. Dies wurde zur Leitlinie des Österreichischen Arbeiter-Abstinentenbundes. Die Maxime spiegelt den Fokus der Abstinenzbewegung auf die Erlangung bzw. die Erhaltung der „Volksgesundheit“, im Speziellen der Arbeitsfähigkeit der Bevölkerung.


Wirkung des Alkohols.  Einfluss des Alkoholgenusses auf geistige Arbeit, nachgewiesen an der Fähigkeit des Auswendiglernens von Zahlenreihen ohne und unter Einfluss von Alkohol. Nach Dr. Smith 

Demgemäß geht auch aus dem Bildmaterial hervor, dass der Kampf gegen den exzessiven Alkoholkonsum weniger individuellen gesundheitlichen Aspekten galt, sondern vor allem auf eine funktionierende, nüchterne Arbeiterschaft abzielte, die verlässlich eine gute Arbeitsleistung erbringen könnte. Wissenschaftlich fundierte Untersuchungen, statistische Ergebnisse und graphische Darstellungen untermauerten die zentralen Aussagen der alkoholgegnerischen Aufklärungsarbeit.

Warum die Akkordarbeitsleitung am Montag oft vermindert ist.

Geschrumpfte Hodenkanälchen, „Degeneration“ und „entartete“ Nachkommenschaft


Einfluss der väterlichen Alkoholvergiftung auf die Kinder: Nerven- und Geisteskrankheiten (nach G. von Bunge)

Alkohol galt beim österreichischen Arbeiter-Abstinetenbund als Keimgift, das „entartend“ auf die Nachkommenschaft eines Alkoholikers wirkt. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Abstinenzbewegung von Vertretern der Eugenik aufgenommen. Der Alkoholismus und seine geistigen und körperlichen Folgeerkrankungen würden sich von Generation zu Generation vererben und letztlich zur Auslöschung der betroffenen Familien führen. Trotz zeitgenössisch kontroverser medizinisch-wissenschaftlicher Debatten zu Mechanismen der Vererbung bildet das Diakonvolut nur jene medizinischen Thesen ab, die die Argumentation von Vererbung und Auslese vertreten.


Einfluss der väterlichen Alkoholvergiftung auf die Kinder: Tuberkulose (nach G. von Bunge)

Gustav von Bunge (1844–1920), Basler Physiologe und ein prominenter Vertreter der wissenschaftlich geführten Abstinenzbewegung, postulierte, ausgehend vom degenerationstheoretischen Gedanken, dass der weit verbreitete Alkoholismus nicht nur den trinkenden Individuen schade, sondern eine Bedrohung der Gesellschaft darstelle, die in einer „Degeneration“ des „Volkes“ münden würde. Man bekämpfte also nicht den individuellen Alkoholismus, sondern die kollektive „Volkskrankheit“. Alkoholiker wurden so als „minderwertige“ Menschen denunziert, die mit ihrem „entarteten“ Erbgut den „Volkskörper“ schwächen. Medizinisch-mikroskopische Darstellungen liefern dafür den Beleg.


Querschnitt durch Hoden
Querschnitt durch Hoden bei einem 20järigen Trinker. (nach einem mikr. Originalpräparat von Prof. Weichselbaum). Keimgewebe entartet, zwischen den geschrumpften Hodenkanälchen massenhaft Bindegewebe.

Von der Fettleber bis zur Schrumpfniere. Monokausale Zusammenhänge und Schuldzuweisung

Tuberkulose und Alkohol. (Größere Sterblichkeit bei Alkoholberufen)

„Der Alkohohol – Dein Feind!“ Auch der Diskurs über die körperliche Schädigung des Alkohols zielte in der sozialdemokratischen Antialkoholpolitik auf die Gesundheit des „Volkes“ ab. Die Bevölkerung sollte zur Abstinenz erzogen werden, Gesundheit war moralische Arbeit und Abweichung von der Moral hatte Krankheiten zur Folge. Der Terminus „Trinker“ war unscharf: Es erfolgte keine Unterscheidung zwischen Alkoholmissbrauch, Alkoholabhängigkeit und gelegentlichem Alkoholkonsum. Die abschreckenden Bilder degenerierter innerer Organe und Medizinalstatistiken waren ein Appell an die Moral.

In Bezug auf die Bemühungen, Infektionserkrankungen wie Tuberkulose einzudämmen, wurde mit Schuldzuweisung in Wort und Bild operiert. Vertreter des Bunds propagierten die Ansicht, dass Alkoholabstinenz die Voraussetzung in der Bekämpfung von Tuberkulose sei. Weitere zur Debatte stehende Risikofaktoren, wie feuchte Wohnungen, prekäre Arbeitsbedingungen und unzureichende Ernährung wurden von der alkoholgegnerischen Bewegung ignoriert.

Das Königin-Luise-Haus, vier Hunde und ein Wiener Schuldirektor


Das Königin-Luise-Haus in Leipzig (Eigentum des Deutschen Bundes abstinenter Frauen.)

Frauen spielten innerhalb der alkoholgegnerischen Verbände eine aktive und tragende Rolle. Sie sahen in ihrer Aktivität zum einen die Möglichkeit, gegen den alkoholbedingten Verlust der Arbeitsfähigkeit ihrer Ehemänner entgegenzuwirken. Zum anderen fanden Frauen, denen ansonsten keine politischen und wirtschaftlichen Rechte zugesprochen wurden, in ihrer aufklärerischen Arbeit eine Chance, gesellschaftlichen Einfluss zu erhalten. Eine Aufgabe der weiblichen Mitglieder war der Betrieb alkoholfreier Lokale. Die alkoholfreie Gaststätte „Königin-Luise-Haus“ in Leipzig wurde vom Deutschen Bund abstinenter Frauen betrieben.

Alkoholgenuss im Kindesalter: 
Häufigkeit des Bier- und Branntweingenusses bei Schulkindern. (nach Untersuchungen in einer Berliner Schule.) 
Einfluss des Alkoholgenusses auf die geistige Leistungsfähigkeit von Schülern. (nach Schuldirektor Bayr, Wien.) 

Auch der Alkoholkonsum im Kindesalter war Teil der wissenschaftlichen Debatte des Arbeiter-Abstinetenbundes – im Lichtbildvortrag verdeutlicht durch eine numerische Darstellung verminderter kognitiver Leistung bei Schulkindern durch Alkoholkonsum und Experimente mit Jungtieren.


Vier Hunde vom selben Wurf, von denen zwei mäßig Alkohol erhalten haben und dadurch in der Entwicklung zurückgeblieben sind. (Aus der Staatskrankenanstalt Hamburg-Friedrichsberg.)

Neben Informationsvermittlung sah sich der Bund auch für professionelle Hilfe bzw. Behandlung von Alkoholerkrankten zuständig und schuf dadurch wesentliche Ansatzpunkte für die moderne Suchtprävention und Alkoholsuchtherapie. In Wien wurde im Jahr 1922 als Abteilung der Irrenanstalt „Am Steinhof“ die „Trinkerheilstätte“ gegründet.

Literatur

Auderst, J. & Moser, P.; Eidgenössische Alkoholverwaltung (EAV); Bundesamt für Bauten und Logistik (Hrsg.): (2016), Rausch und Ordnung. Eine illustrierte Geschichte der Alkoholfrage, der schweizerischen Alkoholpolitik und der Eidgenössischen Alkoholverwaltung (1887-2015). Bern: Eidgenössische Alkoholverwaltung (EAV).

Eisenbach-Stangl, I. (1994), Ein Alkoholportrait Österreichs. Alkoholkonsum, Alkoholwirtschaft, alkoholbezogene Probleme und alkoholbezogene Kontrollen. In: Springer, A., Feselmayer, S., Burian, W., Eisenbach-Stangl, I. Lentner, S. & Marx, R. (Hg.), Suchtkrankheit. Das Kalksburger Modell und die Entwicklung der Behandlung Abhängiger. Wien, New York: Springer, S. 29-42.

Ledebur, S. (2011), Das Wissen der Anstaltspsychiatrie in der Moderne. Zur Geschichte der Heil- und Pflegeanstalten Am Steinhof in Wien. Wien: Univ., Phil. Fak., Diss.

Schott, H. (2001), Serie-Alkoholismus: Das Alkoholproblem in der Medizingeschichte. In: Deutsches Ärzteblatt (Heft 30), A 1958–1962.

Spöring, F. (2014), „Du musst Apostel der Wahrheit werden“: Auguste Forel und der sozialhygienische Antialkohol-Diskurs, 1886–1931. In: Tschurenev, J., Grosse, J. und Spöring, F. (Hg.), Biopolitik und Sittlichkeitsreform: Kampagnen gegen Alkohol, Drogen und Prostitution, 1880–1950. Frankfurt, New York: Campus, S. 111–144.

Spöring, F. (2017), Mission und Sozialhygiene Schweizer Anti-Alkohol-Aktivismus im Kontext von Internationalismus und Kolonialismus, 1886-1939.Göttingen: Wallenstein.

Springer, A. (1994), Der Stellenwert der Suchtkrankheiten in Österreich. In: Springer, A., Feselmayer, S., Burian, W., Eisenbach-Stangl, I. Lentner, S. & Marx, R. (Hg.), Suchtkrankheit. Das Kalksburger Modell und die Entwicklung der Behandlung Abhängiger. Wien, New York: Springer, S. 1-28.

Uhl, A., Hojni, M., Gaiswinkler, S., Puhm, A. & Strizek, J. (2020), Handbuch Alkohol Österreich. Band 3: Ausgewählte Themen. Gesundheit Österreich, Wien.


Quellen

Forel, A. (1905), Alkohol, Vererbung und Sexualleben. In: Deutscher Arbeiter-Abstinenten-Bund (Heft 10). www.geschichtsdokumente.de/broschuere-alkohol-vererbung-und-sexualleben-deutscher-arbeiter-abstinenten-bund-1905/ (Zugriff 20.6.2021)

Deutsches Hygiene Museum Dresden, Sammlung Online: Bildverzeichnis „Der Alkoholismus“/ Lichtbildreihe 12: sammlung.dhmd.digital/object/6972d68f-955e-466e-b1ce-4758a8c087cd (Zugriff 3.6.2021)

Internet Archive: Originalschriften zum Alkoholismus: archive.org/search.php?query=alkoholfrage (Zugriff 10.7.2021)

Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie, Arbeiter-Abstinentenbund: www.dasrotewien.at/seite/arbeiter-abstinentenbund (Zugriff 20.6.2021)

Wlassak, R. (1922), Grundriss der Alkoholfrage. Leipzig: Hirzel.