Landsiedls On Tour. Eine Zeitreise durch Familienbilder

"Zum Reisen gehört Geduld, Mut, guter Humor, Vergessenheit aller häuslichen Sorgen, und daß man sich durch widrige Zufälle, Schwierigkeiten, böses Wetter, schlechte Kost und dergleichen nicht niederschlagen läßt."

Adolph Freiherr von Knigge

Reisen und Fortbewegungsmittel
der Familie Landsiedl

Anton Landsiedl (1861-1929) begann in den 1890er Jahren mit seiner Stereokamera Bilder aufzunehmen. Als technikbegeisterter Lehrer und Erfinder eignete er sich das notwendige Know-how an, um als eifriger Tourist verschiedenste Motive festzuhalten zu können. Das Steckenpferd der Hobbyfotografie wurde vom Sohn „Toni“ Landsiedl (1904-1994) weitergeführt. Seine Aufnahmen in der Landsiedl’schen Sammlung datieren vom Jahr 1925 bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts.

Zu den beliebtesten Motiven der beiden Landsiedls zählen Berglandschaften, Familienporträts und Reisefotos, aber auch Volksbräuche, Turnerveranstaltungen und Turnhallen wurden für die Nachwelt fotografisch festgehalten. Neben den eigenen Aufnahmen ergänzen einige Kaufbilder die Sammlung der Familie.

Im Jänner 2020 übergab der Enkel, der dritte Anton Landsiedl (geb. 1944), die komplette Sammlung an das Volkskundemuseum Wien.

Galerie

Wir haben die Sammlung gesichtet und Recherchen über das Reisen in der Zeit der Jahrhundertwende angestellt. Die private Fotosammlung der Familie umfasst über eintausend Bilder aus den Jahren 1893 bis 1941. Es war ein langer Prozess aus dieser Fülle eine Auswahl zu treffen. Viele verschiedene Lebensbereiche sind dargestellt, zum Beispiel Wanderungen in die österreichischen Berge, die Einrichtung ihrer Wiener Wohnungen, Fotografien aus der Arbeitswelt oder Familienportraits. Von einigen Motiven gibt es sogar ganze Bilderserien. Wir stellen eine exemplarische Auswahl von Reisebildern vor, die fremde Orte, Abenteuer und Fortbewegungsmittel zeigen. Wir haben Erzählungen aus einem Interview mit Herrn Landsiedl und Ergebnisse aus unseren Analysen und Recherchen zu einer Geschichte verflochten, die sich entlang einiger Stationen der Reisen der Familie Landsiedl entwickelt.

Begleiten Sie uns und die Familie Landsiedl in dieser Online Ausstellung auf einer fiktiven Zeitreise durch Österreich, Italien und die Schweiz bis nach Frankreich!

Rollepass

1898 – Rollepass

Während ihrer Reise in die Dolomiten legten die Reisenden am Rollepaß eine Pause ein; dieses Mal wurden die Pferde nicht nur versorgt, sondern auch gewechselt. Die Kutscher der verschiedenen Reisegruppen mussten warten, bis sie an der Reihe waren. Die Pferdekutsche von Olga und Anton Landsiedl hatte ein geschlossenes Abteil und hinten Sitzbänke mit einem Baldachin – eine typische Postkutsche eben. An dem Tag wäre ein Platz im offenen Teil der Kutsche schön gewesen, denn es war sonnig und die Luft war mild.

Toblinosee

1899 – Toblinosee

1899 begleiten wir das Ehepaar Landsiedl auf ihrer Tour zum Toblinosee nördlich des Gardasees im Trentino. Sie hatten ihre neuen Fahrräder mitgenommen, um von der Höhe ins Tal zu fahren. Im Gegensatz zu den Fahrrädern der Arbeiter in den Städten waren diese Räder stabiler und daher auch kostspieliger. Am See packte Anton sein Fotoequipment aus, um seine Ehefrau Olga mit Rad und der Burg Toblino im Hintergrund zu fotografieren.

Ein beliebtes Motiv Antons war seine Ehefrau, Olga Landsiedl. Eine mondäne Frau, deren Erkennnungszeichen große, blumige Hüte waren. Dass sie eine selbstbewußte, moderne Frau war, erkennt man auch an ihrer Kleidung. Sie trug auf Reisen meist eine sogenannte Bloomer-Hose. Dieses Kleidungsstück trägt den Namen seiner Erfinderin, der amerikanischen Frauenrechtlerin Amelia Bloomer. Es brachte eine gänzlich neue Bewegungsfreiheit für die Frau der Jahrhundertwende, weil auf ein Korsett verzichtet wurde, der Rock auf Knielänge gekürzt war und darunter eine Pluderhose getragen wurde. Heute ist es kaum vorstellbar, wie umstritten und heiß diskutiert diese neue Mode damals war.

Sarcatal

1899 – Sarcatral

Die Straße von Cremona nach Brescia ist eine sehr alte Poststraße. Die erste Teilstrecke der Straße entlang des Gardasees war damals gerade fertiggestellt worden und ist ein Meisterwerk der Straßenbaukunst. Die verbleibende Trasse der heutigen Gardesana Occidentale bis zum nördlichen Ende des Sees wurde erst 1931 fertiggestellt. Die Landsiedls hatten ihre Fahrräder dabei. Es war einfach atemberaubend die Kurven hinunter zu radeln – durch Tunnel und Galerien und dazwischen immer wieder herrliche Ausblicke auf den See!

In ganz Europa wurde nach dem Ausbau des Eisenbahnnetzes die Erweiterung der Straßeninfrastruktur vorangetrieben. Längere Reisen mit dem Automobil waren aber immer noch recht abenteuerlich. Um den nötigen Treibstoff zu bekommen, hielt man unterwegs immer nach Apotheken oder Drogerien Ausschau. Dort kaufte man dann den Bestand an Petroleum oder Fleckbenzin auf und hoffte, dass es bis zur nächsten Apotheke reichen würde. Das erste Tankstellenverzeichnis in Deutschland erschien erst im Jahr 1909 und war eine Liste von Drogerien, Kolonialwarenhändlern, Fahrradhandlungen, Hotels und Gaststätten. Die erste österreichische Tankstelle wurde 1924 in Graz in Betrieb genommen.

St. Jakob

1902 – St. Jakob im Defereggental

In der Sommerfrische waren immer wieder abwechslungsreiche Tagesausflüge und Wanderungen auf dem Programm. Die Landsiedls waren aktive Mitglieder im Österreichischen Alpenverein und haben Salzburg, Oberösterreich, Tirol und die Steiermark erwandert. Im Tal der Schwarzach bei Sankt Jakob im Defereggental gab es Wasserfälle, Bäche und sogar eine Schwefelquelle zu entdecken. Der Rückweg nach starken Regenfällen erwies sich als riskantes Abenteuer: Mit ihrer Kutsche ist die Gruppe beinahe im überfluteten Bach stecken geblieben. Anton Landsiedl hat die Gelegenheit beim Schopf gepackt um wieder einmal ein originelles Reisefoto zu schießen.

Oswaldiberg

1905 – Oswaldiberg

Im Sommer 1905 mietete die Familie Landsiedl die Reichmannhube, ein Bauernhaus bei Villach in Kärnten. Von dort aus unternahmen sie viele Tagesausflüge, unter anderem nach Millstatt und Ossiach, ins Gail- und Kanaltal. Nach der Geburt des kleinen Toni verbrachten sie die Sommerfrische am liebsten in Kärnten oder in der Steiermark.
Ermüdet von den aufregenden Tagesausflügen erholte sich Klein Anton im Garten und ließ sich vom Kindermädchen verwöhnen. Auch der stolze Papa war ganz begeistert von dem praktischen und modernen Kinderwagen.

Schweizer Dolomiten

1911 – Schweizer Dolomiten

Im Jahr 1911 ging es für die Landsiedls in die Schweizerer Dolomiten. Die Fahrt mit dem Autobus war etwas ganz Besonderes und sehr bequem, obwohl der laute und stinkende Motor die Romantik etwas störte. Ob der Bus auf dem Foto ein regulärer Postbus war oder ob die Landsiedls eine sogenannte Lustfahrt mit einer geführten Reisegruppe gemacht haben, lässt sich nicht mehr genau sagen. Der Bus hatte jedenfalls kein Verdeck und Olga Landsiedl musste ihren Hut im Fahrtwind festhalten. Das moderne Fotoequipment der Landsiedls faszinierte alle Mitreisenden.

Paris

1913 – Paris

Eine Dienstreise von Anton Landsiedl im Jahr 1913 in seiner Funktion als Landesschulinspektor für Leibesübungen führte ihn sogar bis nach Paris. Er inspizierte im Auftrag des Kaisers auch die Ausstattung der Turnhallen in Prag, Regensburg, Lindau, München und Zürich um sicherzustellen, dass die Ausbildung in Wien internationalen Standards entsprach.
Trotz des Tagungsbesuchs und der Besichtigung der Turnhallen war noch genügend Zeit die Stadt der Liebe zu erkunden. Anton hat eine elektrische Straßenbahn der „Compagnie générale parisienne de tramways“ fotografisch festgehalten. In großen Städten ging das Leben immer schon deutlich schneller voran. Anton stand für diese Aufnahme wohl auf der Fahrspur und hat in der Eile die Belichtungszeit falsch eingestellt, daher sind Straßenbahn und Passanten etwas unscharf.

Noch wenige Jahre zuvor kämpften alle Verkehrsteilnehmer*innen auf den nicht asphaltierten Straßen um ihren Platz. Das Chaos, das auf der Mariahilfer Straße in Wien herrscht, ist im Vergleich dazu wohl harmlos. Pferde, Fahrräder und Kutschen mussten sich den Raum mit den immer zahlreicheren Automobilen teilten. Das Trottoir wurde hauptsächlich von Frauen genutzt, die ihre Kleider vor dem Strassendreck schützen wollten. Da es immer häufiger zu Unfällen kam, wurde der Verkehrsraum in den Städten neu eingeteilt. Nun gab es gepflasterte Fahrspuren und die Fußgänger*innen wurden auf die Gehsteige verbannt. Oft vergessen wir, wie grundlegend das Automobil das Erscheinungsbild unserer Städte und das Alltagsleben der Menschen in den letzten hundert Jahren verändert hat.

Wörschach

1925 – Wörschach Bahnhof

Den Sommer 1925 haben die Landsiedls in Wörschach im steirischen Ennstal verbracht. Mit Sack und Pack und den Bediensteten fuhr die Familie mit dem Zug in das angemietete Sommerhaus.
Dieser Schnappschuss von der Salzburg-Tiroler-Bahn zeigt unverkennbar Frau Landsiedl mit einem ihrer mondänen Hüte. Die Strecke hieß damals Giselabahn und war nach der Tochter von Kaiser Franz Josef I. und Kaiserin Elisabeth benannt.

Nach dem Adel und dem Großbürgertum begannen nun auch Beamte, Kaufleute und Angestellte in die Sommerfrische zu fahren. Der Arbeiterklasse wurden bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs jedoch meist gar keine bezahlten Urlaubstage zugestanden. Die Beamten, die das ganze Jahr in sitzender Haltung in den Büros arbeiteten, nutzten die Sommerwochen, um ihre Lungen mit frischer Waldluft zu füllen. Sie stärkten ihre Muskeln beim Wandern und Bergsteigen, vergleichbar mit dem heutigen Aktivurlaub.

Schweiz

1926 – Schweiz

Eine Anekdote, die in der Familie an den Diaabenden immer wieder erzählt wurde, dreht sich um einen Reisegefährten von Toni Landsiedl. Herrn Horischowsky hatte es die kleine Reisegruppe zu verdanken, dass die Reise zum Matterhorn nicht in den Bergen am Fuße der Dolomiten endete. Beim Automobil, einem Steyr VI Roadster, brach die Feder, ein Stoßdämpfer. Wie gut, dass Herr Horischowsky mit von der Partie war! Als gelernter Schmied stellte er in einer nahegelegenen kleinen Schlosserwerkstatt eigenhändig eine Neue her.
Die Wartezeit nutzte Anton um seine Stereokamera aufzustellen und ein Erinnerungsfoto zu machen. Als schließlich alles aufgebaut und eingestellt war, kam ein Passant daher und lief ihm ins Bild. Anton war ziemlich aufgebracht, die Glasplatten waren ja wertvoll und jede Aufnahme wollte wohlüberlegt sein!

Das Reisen mit dem Auto war damals immer ein Abenteuer. Man konnte nie abschätzen, wie lange eine Reise dauern würde. Wenn der 30 PS Motor eine Steigung nicht schaffte, mussten alle schieben. Das moderne Fortbewegunsmittel war wirklich eine Attraktion für die Bewohner entlang der Strecke.

Venedig

1929 – Venedig

Die Möglichkeit, mit einem Wasserflugzeug über die Adriaküste zu fliegen hat sich Toni nicht entgehen lassen. In Pirano ließ er das Automobil stehen und stieg in die abgebildete Propellermaschine um – ein unvergessliches Erlebnis! Die Piazza di San Marco muss man einfach einmal von oben gesehen haben. Danach ging die Reise mit der Eisenbahn weiter nach Rom, die ewige Stadt. Solch ausgedehnte Städtereisen konnten sich nur Beamte mit einem höheren Einkommen leisten.

Kaufbilder

Kaufbilder

Die Familie Landsiedl hat ihrer Sammlung auch viele Kaufbilder hinzugefügt. Das waren Fotos, die man am Kiosk erwerben konnte – praktisch für Menschen, die keine eigene Fotokamera besaßen. Es gab auch Stereobilder zu kaufen, die mit den damals beliebten Stereobetrachtern angesehen werden konnten und einen 3D-Effekt erzeugten. Besonders schön fanden wir dieses Bild, es zeigt den Friedhof St. Peter in Salzburg.

Fotografieren

Fotografieren
– die große Leidenschaft der Landsiedls


Dank der Fotografie konnte die Familie Landsiedl viele schöne Momente und Eindrücke aus ihrem Alltagsleben und auf ihren Reisen festhalten. Dass dabei ästhetisch ansprechende und kompositionell spannende Aufnahmen entstanden, war kein Zufall. Anton und Toni Landsiedl hatten großes Interesse an der Fotografie an sich, experimentierten gern mit neuen Methoden und steckten viel Zeit und Geld in diese Leidenschaft.

Schon früh hat der technikbegeistere Vater Anton Landsiedl eine Stereokamera erworben. Bei dieser Technik werden auf den länglichen Glasplatten, den sogenannten Stereodias, gleichzeitig zwei Bilder aufgenommen. Durch den Abstand der Objektive, der dem Augenabstand entspricht, entsteht beim Betrachten im sogenannten Stereoskop ein 3D-Effekt.

Am Anfang des 20. Jahrhunderts konnte man nicht einfach mehrere Fotos in rascher Folge machen, wie das in Zeiten von hochauflösenden Handykameras selbstverständlich ist. Das Equipment war schwer und sperrig, die Materialen teuer und schwierig zu bekommen, das für uns heute selbstverständliche Herumexperimentieren mit verschiedenen Blickwinkeln oder Ausschnitten nicht ganz so einfach.

Glasplatten

Diapositiv-Ideal Platten
„Die Packung unserer Platten in folgender praktischen Weise ausgeführt:
Je 2 Platten liegen Schicht gegen Schicht, und zwar so, daß die
Schicht noch zusammenhängt und nur das Glas getrennt ist.
Die Schichten können sich also selbst bei starker Erschütterung
nicht gegeneinander reiben. Zum Einlegen in die Kassetten muß
man die Platten nach der Gegenseite umbiegen (nicht seitwärts
reißen!), wodurch sich die Schicht glatt teilt. Die lästigen
Papierstreifchen, die zuweilen auch in die Kassetten geraten, sind
überflüssig, da man ja stets weiß, wo die Schichtseite sich befindet.
Beim Oeffnen der Pakete erscheinen jeweils nur 2 Platten auf
einmal, während die übrigen durch die Art der Packung noch
vor jeglichem Lichte geschützt bleiben. Nach dem Einlegen über-
fahre man die Schichtseite mit dem Abstaubpinsel.“

Jede Aufnahme wollte gut geplant sein. Die beiden Landsiedls zeigen das Hauptmotiv meist mittig im Bild. Der*Die Betrachtende wird mitgerissen und in den Moment der Aufnahme versetzt. Manche Bilder entstanden aber auch etwas spontaner, unterwegs, auf Reisen. Anton Landsiedl verschätzte sich dann manchmal bei der notwendigen Belichtungszeit und so wirken die Aufnahmen etwas verwackelt. Für uns haben gerade diese Bilder einen ganz besondernen Charme.

Sein Sohn Toni Landsiedl teilte nicht nur die Begeisterung des Vaters für die Fotografie, sondern nutzte auch dessen Gerätschaft um die Familiensammlung zu erweitern. Als er im Zweiten Weltkrieg zum Oberarzt des Lazaretts im Militärkrankenhaus Rudolfstiftung ernannt wurde, fand er leider keine Zeit mehr für sein liebstes Hobby.

Quellen

Fotografien

  • Bestand Landsiedl in der Fotosammlung des Volkskundemuseum Wien
  • Foto Gardesana Occidentale heute – gemeinfrei aus www.youtube.com/watch?v=7OlayWos0XU
  • Fotos Landkarten – Andree, Richard, and Albert Scobel. Andrees Allgemeiner Handatlas in 126 Haupt- Und 137 Nebenkarten Nebst Vollständigem Alphabetischem Namensverzeichnis. 4., Völlig Neubearb. U. Verm. Aufl.. ed. 1899. Print.

Sekundärliteratur

  • Vajda, Stephan. 1981. „Reisen Anno 1900: Ein Führer durch die Länder der k.u.k. Monarchie.“

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